18.11.2014 - Mit Gott in den Krieg

Zur Haltung der Kirchen an Front und Heimatfront im 1. Weltkrieg

Vortrag von  Dr. S. Kranich in der Aktuellen Runde

Reformation und „teutsche Nation", Protestantismus und Patriotismus gab es diese Verbindungen seit der frühen Geschichte des deutschen Protestantismus wirklich? Ja, es war wohl so: Recht und Pflicht zum Krieg für das Vaterland standen für die evangelischen Kirchen im Deutschen Kaiserreich auch 1914, als der 1. Weltkrieg begann, weithin außer Frage.

Mit großer Selbstverständlichkeit leisteten die Volkskirchen - und das war auch in England und Frankreich so in diesem Krieg - Unterstützung an Front und Heimatfront. Kriegsgottesdienste und Kriegsgebetsstunden, sowie sehr praktische gemeindlich-sozialdiakonische Hilfen waren dabei die eine Seite der Medaille, das Zusammenspiel von Kirchenverwaltungen und Reichskriegsbehörden die andere.

Der Theologe Karl Barth meinte von der Kriegsbegeisterung im August 1914, in Deutschland seien „Vaterlandsliebe, Kriegslust und christlicher Glaube in ein hoffnungsloses Durcheinander geraten". Der sozialliberale Leipziger Pfarrer Liebster schrieb nach den ersten siegreichen Wendungen des Krieges für das Deutsche Reich „Jedes Verständnis für Jesus, für Demut, für Feindesliebe ist im religiösen Kriegsfuror erloschen."

Eine Vereinigung von „Potsdam und Bethlehem", d.h. von kriegerischem Kaiserdeutschland und Jesus-Evangelium, konnte aus politischen wie theologischen Gründen nicht dauerhaft gelingen. Einflußreiche sozialliberale Protestanten, z.B. der Theologe und liberale Politiker Ernst Troeltsch und der Theologe und Kirchenhistoriker Adolf von Harnack hatten bereits vor dem Krieg auf gesellschaftlichen Ausgleich, Wahlrechtsreform und eine Integration der Arbeiterschaft gesetzt, also friedenschaffende Maßnahmen nach innen angemahnt. Ja, Harnack forderte in seiner Kaiser-Geburtstags-Rede 1916, also mitten im Krieg, Verantwortung für eine Nachkriegsordnung nach europäischen Wertmaßstäben.

Im Kriegsjahr 1917, dem Jahr des 400. Reformationsjubiläums, prallte das Lager derer, die die Überlegenheit des Deutschtums lutherisch begründeten und sogar territoriale Ausweitung Deutschlands forderten. zusammen mit dem Lager derer, die die Unvereinbarkeit selbstgefälligen Deutschtums mit der Grundgesinnung eines Jüngers Jesu vertraten und die Reformation als eminent demokratische Bewegung einschätzten.

Jubel herrschte 1918, als der Krieg verloren war und die Monarchie kollabierte, auch nicht im Lager der Kritiker der Kriegs- und Deutschtums-Begeisterung. Der oben erwähnte Pfarrer Liebster resümierte: „Der stolze Bau des neuen deutschen Kaisertums ist zusammengebrochen wie ein Kartenhaus ... Ebensowenig wie ich gleichgültig bleiben könnte, wenn sie mir meinen Vater verjagten, kann ich mich freuen, dass sie den Kaiser abgesetzt haben."